Dieses Zimmer (2005)
Die alljährliche Reise der in die Stadt Geflohenen zurück ins Dorf. Die üblichen Abläufe und die gewohnten Rituale im Familienkreis. Man redet miteinander und versucht, sich etwas zu sagen. Man hält sich aneinander fest, stützt sich und lässt sich fallen. Ein Abend auf der Kippe. Eine Winterreise mit elektrischen Gitarren.
Premiere 15. Oktober 05, Fabriktheater Rote Fabrik, Zürich
Koproduktion Fabriktheater Rote Fabrik, Zürich und Theater Roxy, Birsfelden
Mit Tina Beyeler, Frank Gerber, Sebastian Krähenbühl, Thom Luz, Markus Schönholzer Text Andri Beyeler Choreographie Tina Beyeler Regie Sebastian Krähenbühl Musik Frank Gerber, Thom Luz, Markus Schönholzer Dramaturgie Petra Fischer Licht/Bühne Regina Meier Kostüme Francesca Merz Produktionsleitung Yvonne Nünlist
Mit der Unterstützung von Stadt und Kanton Schaffhausen, Pro Helvetia Schweizer Kulturstiftung, Stadt Zürich Kultur, Fachstelle Kultur Kanton Zürich, Jubiläumsstiftung der Zürich-Versicherungs-Gruppe, Cilag AG, Schaffhauser Kantonalbank, Georg Fischer AG
Es ist später Nachmittag an Heiligabend. SCHWESTER und BRUDER sind, wie viele, auf dem Weg ins Dorf. Sie kehren dorthin zurück, wo nach wie vor ihre Eltern leben, aber nicht mehr sie.
Es ist später Nachmittag an Heilig Abend und auf SCHWESTER und BRUDER wartet das ganze Programm. Sie werden im Dorf ankommen und den Weg nehmen, den sie eine Zeit lang täglich genommen haben, den Weg, der vom Bahnhof durch das Dorf und zum Haus ihrer Eltern führt. Hier werden sie, bevor sie eintreten werden, kurz innehalten und denken, dass dieses Haus mit den Eltern drin wirklich der einzige Grund sei, überhaupt noch in dieses Dorf zu kommen.
Dann wird aber auch schon die Tür aufgehen und ein herzliches Hallo stattfinden, wobei ihnen nicht entgehen wird, dass Mutter und Vater wieder ein Jahr älter geworden sind. Nach dem Ablegen der Taschen, einem Aufenthalt auf dem Klo und den ersten üblichen Worten werden sie sich, wie Mutter und Vater auch, für den Spaziergang bereit machen und kurz darauf auch schon wieder aufbrechen, wieder nach draussen gehen.
Sie werden aus dem Quartier raus spazieren, werden bald nicht mehr Teer sondern Kies unter den Füssen haben und schliesslich auch den Wald erreichen. Unterwegs werden sie sich in zwei Grüppchen aufteilen, SCHWESTER und Vater werden voraus gehen, Mutter und BRUDER nachkommen. So werden sie den Wald verlassen und über das freie Feld nach Hause zurück spazieren. Dabei werden sie alle konstatieren, wie schade es sei, dass auch heuer kein Schnee liegt.
Wieder an der Wärme werden sie es sich am Tisch bequem machen, während Mutter das Essen aus dem Ofen und Vater den Wein aus dem Keller holen wird. Aber bevor gespeist werden wird, werden die Kerzen am Baum angezündet werden und Mutter wird in Folge alle zwei Minuten darauf hinweisen, dass es die Kerzen im Auge zu behalten gelte.
Sie werden essen und nicht zu betonen vergessen, wie sehr es schmeckt, Vater wird ihnen Wein nachschenken. Nach dem Kaffee und dem selbst gemachten Weihnachtsgebäck, das ein wenig zu trocken geraten sein wird, werden sie sich um den Baum versammeln. Sie werden Geschenke austauschen und es wird auch etwas dabei sein, dass sie brauchen werden können.
Dann werden sie auch schon das Geläut der Kirchenglocken hören und sich also auf den Weg zur Weihnachtsmesse machen. Sie werden singen und beten und finden, dass die Predigt auch schon stimmiger gewesen sei. Zurück in der häuslichen Stube werden sie sich ein letztes Glas genehmigen, Mutter wird müde sein und Vater schläfrig werden. So wird man sich dann langsam ins Badezimmer verabschieden, jedoch nicht ohne noch zu meinen, dass es doch mal wieder schön gewesen sei.
Basellandschaftliche Zeitung, 10.02.2006
„Mit ihrer konsequenten Arbeit, die Text, Tanz und Theater verbindet und zusammen auf die Bühne bringt, gehören die quirligen Tanztheater-macher zum Frischesten, was die junge Schweizer Tanztheaterszene zurzeit zu bieten hat. […] Mit fast nichts werden hier Geschichten abgerufen, die jedem und jeder bekannt vorkommen dürften. […] Die Bewegungssprache Tina Beyelers ist direkt und kraftvoll. […] Sie ist eine Tänzerin, deren dynamische Beweglichkeit immer wieder fasziniert. Die knapp einstündige Produktion besticht durch ihre simple und geschickte Inszenierung, sie spielt aufs Vergnüglichste mit Bildern und Stimmungen und bietet schöne Unterhaltung. An der Nachhaltigkeit der Wirkung indessen müsste noch etwas gefeilt werden (Jana Ullmann).“
Programmzeitung, Das Kulturmagazin für den Raum Basel, Feburar 2006
„Sie sind SpezialistInnen für melancholisch-beklemmende Erinnerungen – an Beziehungen, unverwirklichte Träume, das Leben in der Provinz: Die Geschwister Andri und Tina Beyeler aus Schaffhausen haben als Kumpane zwar erst drei abendfüllende Produktionen entwickelt, sich damit aber bereits einen Namen gemacht. […] In ihren gemeinsamen Stücken schaffen die Beyelers einen ganz eigenen Kosmos, der geprägt ist von den schweizerdeutschen, stark stilisierten Texten und einer kraftvollen Bewegungssprache. […] Das Resultat ist häufig verblüffend. Denn Text und Körpersprache verdoppeln sich nicht, sondern reiben sich, streben manchmal auf irritierende Weise auseinander. Wie in der lakonischen Sprache Witz und Verzweiflung nahe beisammen stehen, so kippt im Tanz eine zerbrechliche Zärtlichkeit unversehens in Schmerz oder krude Körperkomik. Kumpane erzählen einfache, aber nie banale Episoden . Man erkennt sich in ihren Figuren wieder, doch die Geschichten sind zu beklemmend, um nur melancholisch, zu bissig, um nur komisch zu sein (Felizitas Ammann).“
Musik & Theater, 09.11.2005
„Es ist eine Weihnachtsgeschichte, die an diesem kühl-nebligen Abend im Fabriktheater der Roten Fabrik erzählt wird – ohne allen Tand, schlicht, in einer bemerkenswert schmucklosen, so gar nicht heimeligen Szenerie, in der gerade nur eine Hand voll elektrischer Gitarren, dazugehörige Verstärkerboxen und ein paar lose auf dem Boden herumliegende Kabel zu sehen sind. […] Amüsant, wie sich die Geschehnisse entwickeln, wie Worte und Gesten, Klänge und Bewegungen auf ganz eigene Weise miteinander verwoben werden und dabei eine Atmosphäre von seltsam heiterer Tristesse entstehen lassen. Und erstaunlich, wie genau bei aller Heiterkeit jene Sprachlosigkeit spürbar wird, die lähmend hinter den erstarrten Ritualen lauert – hinter allem oberflächlichem Geschwätz, der Vorhersehbarkeit und der Scheinheiligkeit, mit der hier überdeckt werden soll, wie sehr man in der Enge dieses Hauses einander längst abhanden gekommen ist. […] «Dieses Zimmer» ist ein liebevoller Blick auf die Dramen des Alltags und die Mechanismen der Entfremdung, die sich so abgründig wie banal hinter der trauten Fassade ereignen. Ein Stück, das mit wenigen szenischen Illusionen vor allem der Kraft seiner Darsteller und der Fantasie seines Publikums vertraut, das sich herkömmlichen Genrezuordnungen wohltuend verweigert und dessen einzige wirkliche Schwäche es vielleicht ist, dass es ihm bei aller originellen Verflechtung von Sprache, Musik und Tanz nicht unbedingt restlos gelingt, ein organisches Ganzes zu bilden (Anja Lachmann).“
Tages-Anzeiger, 20.10.2005
„«Dieses Zimmer» wurzelt zwar inhaltlich im Weihnachtsfest, setzt jedoch an die Stelle einer grellen Demontage eine minuziöse Bestandsaufnahme des alljährlich wiederkehrenden Rituals. Unaufgeregt erzählt das fünfköpfige Ensemble unter der Regie von Sebastian Krähenbühl von der Langeweile und der Hilflosigkeit, die sich jeweils einstellt, wenn die zwei erwachsenen Kinder zu Weihnachten für eine (heilige) Nacht ins elterliche Haus zurückkehren […] Andri Beyelers dialektale Erzählpassagen mischen sich mit den elektrischen Gitarren von Frank Gerber, Thom Luz und Markus Schönholzer und kurzen akrobatischen Bewegungsfolgen. Auch wenn diese Kombination stellenweise etwas gekünstelt wirkt, so gewinnt sie doch im Verlauf des kurzweiligen Abends an Plausibilität: Nur Verrenkungen scheinen zu Weihnachten das emotionale Überleben zu sichern (Charlotte Staehelin).“
P.S. die linke Zürcher Zeitung, 20.10.2005
„«Dieses Zimmer» ist komisch, weil man die Situation kennt, stellt sich jedoch nicht auf die Seite der Jungen, sondern verdeutlicht, dass dieser Abend für alle auf der Kippe steht. […] Die gute Stunde Ausflug ist kompakt gerafftes Tanz-Musik-Theater mit einem in sich stimmigen Text, der nicht chronologisch daherkommt, aber auf den Punkt aufgeht (Dramaturgie: Petra Fischer). Ähnlich dem Vorgängerprojekt «Wohlgelitten in Wohlgelegen» setzen Kumpane auf einfache Mittel, ausdrucksstarke Tanzfiguren, diesmal ergänzt mit Stimmung betonendem Gitarrensound und einer starken Textvorlage. Die Vorfreude darauf war berechtigt und die damit einhergehende Erwartung vollends erfüllt. Bravo! (Thierry Frochaux).“
NZZ, 17.10.2005
„Gemeinsam kämpfen sich Tina Beyeler und Sebastian Krähenbühl (auch Regie) als Geschwisterpaar durch die üblichen Stationen von Begrüssung bis Kirchgang. Sie halten sich aneinander fest, stützen sich und lassen sich auch einmal fallen. Im energischen Tanz scheinen Erinnerungen auf, Kinderspiele, Konkurrenzkämpfe oder Teenager-Tanzschritte. Dann wieder verstecken sich die beiden zwischen den Musikern, bilden zusammen ein verzagtes Grüppchen und schieben sich gegenseitig die schalen Worte in den Mund, die an Heiligabend so gewechselt werden. Das Zusammenspiel der verschiedenen Bühnensprachen ist wie immer bei Kumpane durchdacht und spannungsvoll. Dass die Musik eine weitere Perspektive auf das Geschehen ermöglicht, das macht die Sache noch vielschichtiger und vergnüglicher (Felizitas Ammann).“
Fotos by Reto Schlatter
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