Did I shave my legs for that? (2006)
In der Stadt, im Quartier, Menschen auf dem Weg zum Fluchtpunkt, der heute auch Kino heisst. Auf der Leinwand eine Geschichte, die von Schuld und Rache erzählt, von Erwartungen und Enttäuschungen, in Konfrontationen. Im Zuschauerraum holen Erinnerungen ein, von hinten durch die Brust in den Kopf. Pläne werden geschmiedet, Strategien zurechtgelegt, Vergeltungsphantasien in Reihe zwölf, Platz siebzehn. Und das dringende Bedürfnis, ein Ausrufezeichen zu setzen, bevor man auf der Strecke bleibt.
Premiere 21. Oktober 06, Fabriktheater Rote Fabrik, Zürich
Koproduktion Fabriktheater Rote Fabrik Zürich und Phönix-Theater-81 Steckborn
Mit David Imhoof, Sebastian Krähenbühl, Cornelia Lüthi Text Andri Beyeler Choreographie Tina Beyeler Musik Frank Gerber Dramaturgie Petra Fischer Kostüme Inge Gill Klossner Licht Regina Meier Produktionsleitung Yvonne Nünlist
Mit Unterstützung von Stadt und Kanton Schaffhausen, Pro Helvetia Schweizer Kulturstiftung, Stadt Zürich Kultur, Fachstelle Kultur Kanton Zürich, Sophie und Karl Binding Stiftung, Stiftung der Schweizerischen Landesausstellung 1939, Kulturstifung Winterthur, Schweizerische Interpreten-Stiftung SIS, SIG, Schaffhauser Kantonalbank
In der Stadt, im Quartier, fünf Menschen auf dem Weg zum Fluchtpunkt, der heute auch Lichtspielhaus heisst. Zum Beispiel er, der mal wieder etwas anderes will als Heimkino. Zum Beispiel sie, die sich sagt, es sei schliesslich Freitagabend, da dürfe man den üblichen Kram liegen lassen. Oder sie zwei, Cousine und Cousin, die sich hier verabredet haben, um miteinander nicht so viele Worte wechseln zu müssen. Aber auch sie, die sich einfach den Film anschauen will und der dann eine Erinnerung einfällt.
Und auf der Leinwand ist ein Mann zu sehen, in dessen Rücken eine Axt steckt, daneben liegt eine Frau in den letzten Zügen. Eine Gemeinde, die Abschied nimmt von diesen beiden Toten. Eine Frau, die mit einer Axt in der Hand in die Dorfkneipen kommt und Rache schwört. Ein Gemeinderat, der durch das Dorf spaziert und die Grüsse entgegen nimmt. Der Landjäger, der bei der Frau dieses Gemeinderates liegt. Dann ist erst mal Pause.
Im Foyer rumstehen. Wenn man sich nicht, wie sie, sogleich aufs Klo zurück gezogen hat, um dem Gespräch mit ihm zu entgehen, der Ellbogen austeilt und auch sonst über die Menschen hier herzieht. Sich zum Verkaufsstand durchschlagen, und sich, wie er, ärgern, dass hier nur alkoholfreies Bier verkauft wird. Überhaupt denken, dass aus diesem Laden hier noch einiges rauszuholen wäre. Oder an einem Eis knabbern wie sie und sich vorstellen, dieses mit rein zu nehmen und es auf den Arm des Nachbarn tropfen lassen, den dieser sicher jetzt schon wieder auf der Lehne hat, die einem selbst zusteht. Aber auch von den Erinnerungen gänzlich eingeholt werden wie sie und sich zurück auf den Teppich holen müssen.
Und auf der Leinwand ist der Dorfpfarrer zu sehen, der von der Kanzel herunter wettert. Leute vom Dorf, die in den Kneipen diese Predigt besprechen. Die Frau des Gemeinderates, die auf der Scheiterbeige hinter dem Haus einen Prügel findet, an dem Blut klebt. Der Gemeinderat, der seinem Vetter droht. Die Frau, die den Vetter des Gemeinderates verlässt. Der Vetter des Gemeinderates, der ein Geständnis ablegen will und dabei eine Axt in den Rücken bekommt. Abspann.
Später wieder unterwegs durch die Stadt, durchs Quartier. Ziellos wie er, der nicht wirklich Lust darauf hat, daneben zu stehen, wenn seine Cousine eine Freundin aus ihrer damaligen Clique entdeckt. Oder wie sie, die dann doch beschliesst, die Erinnerung Erinnerung bleiben zu lassen. Zielstrebig wie sie, die Fährte aufnimmt, nachdem sie eine Freundin aus ihrer damaligen Clique eben aus dem Kino huschen gesehen hat. Auf der Suche nach Kneipen und dem Leben wie er, um sich mal wieder das ganze Programm zu geben. Oder aber auf dem Heimweg wie sie, die sich nicht entscheiden konnte und sich jetzt einen Sprengsatz wünscht, eine Axt zumindest, und sich dann ihrer Fäuste bedient.
Beitrag auf art tv.
Bote vom Untersee und Rhein, 23.01.2007
„Die Sprache ist einfach, hat nichts Künstliches an sich. […] Im Grunde ist aber der Text nicht das Entscheidende, sondern der Tanz nimmt vielmehr die entscheidende Rolle ein. Unverkennbar ist die starke Handschrift der Choreographin Tina Beyeler. Was von David Imhoof, Sebastian Krähenbühl und Cornelia Lüthi gezeigt, getanzt und geleistet wird – das lässt nur noch darüber staunen, was Menschen mit ihrem Körper ausdrücken können. […] Um ein wunderbares Stück modernen Tanztheaters bereichert, bedankte sich das Publikum mit anhaltendem Beifall für diese starke, überzeugende Leistung der beiden Darsteller und der Darstellerin. Doch, es hat sich gelohnt, dieses Stück anzusehen. Nicht umsonst «Did I shave my legs fort hat?» (Louise Jochim).“
Thurgauer Zeitung, 22.01.2007
„Während der Text eher die kalkulierende Vernunft zum Ausdruck bringt, wird in den teils skurril-schnellen, teils reduziert-ruhigen Posen die Macht der Gefühle deutlich. Tänzerische Eruptionen und Choreografie bündeln sich zu Ausdrucksgesten, die die seelischen Regungen mal dramatisch, mal komisch auf den Punkt bringen. […] Heute hat Kumpane einen unverwechselbaren Stil entwickelt, der die Grenzen der Sparten bewusst auflöst, gleichzeitig aber die Grenzen des Darstellbaren sucht, indem sie den Raum zwischen Denken und Fühlen des Menschen ergründen und dabei bisweilen auch an die Grenzen der Verständlichkeit stossen (Dorothee Kaufmann).“
P.S. die linke Zürcher Zeitung, 26.10.2006
„Die Dialekttexte von Andri Beyeler sind schnell gesprochen und häufig unvollständige Sätze. Sätze wie Gedanken. […] Wie in den Vorgängerproduktionen strotzt der Text vor Witz. Dem stellt Tina Beyeler (diesmal leider nicht auf der Bühne) eine simple aber überaus raffiniert wirkende Choreographie gegenüber. […] Als Gesamtkunstwerk – und als solches müssen alle Kumpane-Produktionen gelesen werden – wiederum erfrischend nah am Sein und trotzdem erfreulich und belustigend (Thierry Frochaux).“
Der Landbote, 24.10.2006
„Die Geschichten werden nur in Bruchstücken aus wechselnden Blickwinkeln präsentiert. Und dieses Verfahren macht sie sehenswert. […] Auch in der neuen Produktion folgen sich Tanzsequenzen und Texte in einem ausgeklügelten Timing, sind alle Elemente der Produktion präzis ausgearbeitet, ist auch die Musik (Frank Gerber) dem Szenischen entsprechend punktuell eingesetzt. Und die Tänzerin Cornelia Lüthi und die Schauspieler David Imhoof und Sebastian Krähenbühl beherrschen Sprache und Bewegung von der zarten Andeutung bis zum drastischen Ausbruch hervorragend (Ursula Pellaton).“
Neue Zürcher Zeitung, 23.10.2006
„Die drei Akteure David Imhoof, Sebastian Krähenbühl und Cornelia Lüthi tanzen genüsslich um den heissen Brei herum, verstricken sich flink in den erzählten Intrigen und exerzieren allerlei Possen. […] Auch das neuste Stück kommt so unprätentiös wie originell daher, es erscheint dem Inhalt entsprechend behäbig und ist doch insgesamt federleicht. Man schliesst die Figuren förmlich ins Herz für ihre unvermeidlichen Übersprungshandlungen und vergisst dabei beinahe, dass es ja eigentlich um Mord und Totschlag oder zumindest um kleine Racheakte geht (Christina Thurner).“
Tages-Anzeiger, 23.10.2006
„Sie kommen einfach nicht los von der Provinz. Die Stücke der Schaffhauser Gruppe Kumpane […] beschreiben melancholisch bis bissig den heimischen Alltag, und ihre Figuren werden regelmässig von Erinnerungen heimgesucht. […] Wie immer bei Kumpane sind Text, Tanz und Musik nur punktuell eingesetzt – getreu der Regel, dass die Medien unabhängig nebeneinander auf der Bühne existieren sollen. Das ist sehr musikalisch gemacht und erzeugt eine fliessende Leichtigkeit und Transparenz. […] […] So suggestiv und stimmungsvoll das Bühnengeschehen wirkt, inhaltlich vermag man manchmal nicht ganz zu folgen. Vor allem die Handlung des Films sorgt mit ihrer Drastik für einige Lacher, kann aber nicht wirklich fesseln. Eindringlich sind die leise Komik und die stille Verzweiflung der Alltagsdramen, die sich neben der Leindwand abspielen. Kumpanes Stärke liegt eben in der Schilderung der ganz gewöhnlichen Helden (Felizitas Ammann).“
Fotos by Bruno Bührer (Nr. 1 – 3) and Reto Schlatter (4 – 7)
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