du bleibst wenn du gehst (2009)
Sie haben zurückgelassen, sind gegangen. Sie sind zurückgelassen worden, sind geblieben. Sie sollen zurücklassen, wollen zurücklassen. Bleiben oder gehen, bleiben und gehen. So oder so aber weiter machen. Ob sie wollen oder nicht. Alles macht weiter. Der Zorn und der Zwiespalt, Phantasien und Pläne, der Blues und die Liebe.
Kumpane macht weiter und fragt mit zwei ehemaligen Profitänzerinnen und einem Schauspieler nach der Bedrohung und Verheissung, die im Weitermachen liegt, nach der Zumutung und dem Trost.
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Audio-Trailer
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Premiere 01. Dezember 09, Fabriktheater Rote Fabrik, Zürich
Koproduktion Fabriktheater Rote Fabrik, Zürich & Phönix-Theater 81, Steckborn
Mit Sebastian Krähenbühl, Ursula Lips, Caroline Minjolle Text Andri Beyeler Choreographie Tina Beyeler Mitarbeit Regie Jürg Schneckenburger Mitarbeit Konzeption/Dramaturgie Petra Fischer Musik Frank Gerber Bühne Gisela Goerttler Licht Ueli Kappeler Produktionsleitung Yvonne Nünlist
Mit der Unterstützun von Stadt und Kanton Schaffhausen, Stadt Zürich Kultur, Fachstelle Kultur Kanton Zürich, Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, Ernst Göhner Stiftung, Sophie und Karl Binding Stiftung, Migros Kulturprozent, Familien-Vontobel-Stiftung, Gemeinnützige Stiftung der SIG Holding AG, Cilag AG
Da ist die Eine, auf der Suche nach der Vervollständigung ihrer vergangenen Zeit. Sie fragt, was übrig geblieben ist. Die Andere kommt zurück, um den nächsten Schritt zu wagen. Diesen will sie auf jener Strasse nehmen, die sie einst verlassen hat. Der Andere sucht danach, wie sich etwas anhören muss, damit es etwas Bleibendes wird.
Da ist sie, die mit ihrem Handy unterwegs ist. Im Bestreben, damit ein weiteres derjenigen Fotos zu machen, mit welchen sie nach einem erlittenen Verlust begonnen hat: Auf belebten Plätzen versucht sie den Moment einzufangen, in dem niemand im Bild ist. Im Glauben, man sehe dies dem Foto dann an. So dass sich eine Bild von Verlassenheit machen lässt. Allerdings gelingen ihr diese Fotos in letzter Zeit immer weniger.
Und da ist er, ein Popmusikant nach dem letzten Konzert einer Tour im Hotelzimmer. Sitzt da auf der Kante eines Bettes, das nicht seines ist, zu müde, um nochmals raus zu gehen, und wäre es auch nur an die Hotelbar, zu wach, um sich schlafen zu legen. Zu viel das dreht. Vielleicht sollte er einfach weiter machen, das nächste Lied schreiben. Ein ehrliches, eines, in dem alle Fiesen sterben.
Was bleibt, wenn man geht?
Was geht noch, wenn man bleibt?
Wie geht man, wenn man bleibt?
Ausgangspunkt für “du bleibst wenn du gehst” bildete die Auseinandersetzung mit der Behauptung „alles macht weiter“. Dabei interessierten uns vor allem zwei Aspekte: „alles macht weiter“ suggeriert zum einen Bedrohung und Zumutung: Man hat Angst, sich im Alltag in seinen Routinen zu verfangen, nicht nach konkreten Entscheidungen zu suchen. Alles bleibt, wie es war, und was es auch ist, es hört nicht auf. Zum anderen scheint „alles macht weiter“ jedoch auch Trost zu bieten, gar eine Verheissung zu sein: Gerade in Ausnahmesituationen, in denen gewohnte Abläufe und bekannte Orientierungen ins Wanken geraten, geben vertraute Strukturen Halt und Kraft.
Mit diesen beiden Polen von „alles macht weiter“ sind wir fast täglich konfrontiert. Und wir halten auf der einen Seite genau an dem fest, was uns auf der anderen Seite fragwürdig scheint. Davon ausgehend untersuchen wir die Alltäglichkeit auf ihre Brüchigkeit hin und Brüche respektive Einschnitte auf ihre Alltäglichkeit. Die Tanzebene betreffend liegt es bei dieser thematischen Ausgangslage nahe, sich erst mal mit dem/ der TänzerIn selbst zu beschäftigen. Eine der häufigsten Fragen zu diesem Beruf ist, in welchem Alter man körperlich dazu gezwungen ist, die Karriere zu beenden, also die Frage nach der zeitlichen Begrenzung körperlicher Belastbarkeit. In du bleibst wenn du gehst stehen zwei Tänzerinnen auf der Bühne, die sich mitten in ihrer erfolgreichen Tanzkarriere gegen diese und für ein neues Arbeitsfeld entschieden haben Diese zwei Tänzerinnen verbindet einerseits der gleiche Erstberuf mit dem Bewegungsrepertoire des klassischen Balletts und andererseits der Entscheid, sich bewusst und selbstbestimmt von diesem abzuwenden. Trotz dieser Entscheidung entdeckt man bei der ersten Begegnung mit dieser nun Fotografin oder Musikerin die Tänzerin sogleich, daran entzündete sich unser Interesse.
Auf der Textebene suchten wir nach Figuren, die sich in einer Situation befinden, in der es fragwürdig erscheint, dass alles weiter macht. Sei es, dass man ahnt, dass dies nicht der Fall ist, obwohl man es sich wünscht. Sei es, dass man darüber staunt oder erbost ist, dass es dies trotz allem tut. Die Figuren der Episoden sind gewillt oder sehen sich gezwungen, sich dazu zu verhalten.
Schaffhauser Nachrichten, 19.01.2010
„Flüchtigkeit, das könnte das Stichwort zur aktuellen Produktion von Kumpane sein. Die Choreografie von Tina Beyeler ist voller zarter Bewegungen, entfaltet mit einem Mal Poesie, die dann gleich wieder verweht. Darin zeigt sie sich den Texten von Tinas Bruder Andri ähnlich, in denen manchmal etwas Lyrisches auffunkelt, wenn sich heimlich Reime einschleichen (Susanne Huber).“
Thurgauer Zeitung, 08.01.2010
„[…] ein Stück über Menschen, die sich nach einem Bruch im Leben neu orientiert haben. […] Entstanden ist ein Stück über zwei ehemalige Tänzerinnen (Ursula Lips und Caroline Minjolle) und einen Musiker (dargestellt vom Schauspieler Sebastian Krähenbühl), die mit den ihnen eigenen Ausdrucksmitteln zeigen, wie sehr sie von ihrer Vergangenheit geprägt wurden und wohin sie sich aufgrund ihrer Erfahrungen entwickelt haben. Die lose aneinandergereihten Geschichten wirken zwar biografisch geprägt, sind aber exemplarisch für jenen konfrontativen Ausflug in die Vergangenheit, der für jeden zur intensiven Auseinandersetzung mit der Gegenwart werden kann (Nina Scheu).”
P.S. die linke Zürcherzeitung, 12.12.2009
„Eine nicht ganz freiwillige Veränderung kann durch physische, emotionale oder finanzielle Zwänge hervorgerufen werden. «Kumpane» zeigt in «du bleibst wenn du gehst» verschiedene Methoden, sich dieser Veränderung zu widersetzen, was natürlich nicht lange gut geht. […] Das Festhalten an Bewährtem ist aber nicht nur Thema dieses Stücks von «Kumpane», sondern wird gleich auch anhand der eigenen Erfolgsgeschichte abgehandelt. Die Musikerfigur, die Elternbesuche im Erwachsenenalter und der Schock, plötzlich nur noch von zwanzig Jahre Jüngeren im Ausgang umringt zu sein, zeigen, dass auch die Beyelers von der Selbstüberlistung qua längerem Sichersein nicht gefeit sind – und verdeutlicht natürlich, woher das Thema überhaupt kommt (Thierry Frochaux).“
Tagesanzeiger, 05.12.2009
„Ursula Lips und Caroline Minjolle testen ihre Körper, sie prüfen, was noch da ist. Einst waren sie professionelle Tänzerinnen. Nun, etwa 20 Jahre später, ist noch verblüffend viel von diesem Können da. […] Die Texte sind melancholisch, wütend und von feinem Witz. Tanz und Text verfolgen ihre eigenen Wege und gehen mal konkret, mal eher vage das Thema an. Unterschiedliche Szenen stehen nebeneinander, unverbunden wie die drei starken Figuren. Gemeinsam aber schaffen sie ein vielschichtiges Ganzes. So entstehen wunderbare Momente, etwa dann, wenn sich eine der Ballerinen in klassische Balletposen stürzt und dabei von den anderen im Wortsinn unterstützt wird: Da wird mit Stecken und Haken der Kopf stabilisiert und die Wirbelsäule gestützt, die Frau wird in den Spagat geschoben und auch mal geschubst. Brachial ist das und sehr lustig, aber gleichzeitig von zarter Schönheit (Felizitas Ammann).“
Neue Zürcher Zeitung, 03.12.2009
„Dieses Bild ist schon fast genial in seiner Einfachheit. Die mittlere der drei an Drähten aufgehängten rechteckigen weissen Platten, welche die Bühne auf beiden Seiten und hinten begrenzen, schwingt langsam hin und her. Der sich bei dieser Pendelbewegung einmal links, einmal rechts auftuende Raum ist gut für Überraschungen: Bald ist ein Mann zu sehen, bald eine Frau, bald eine Gruppe von zwei oder drei Leuten; dann bleibt der Raum unvermutet leer, oder ein und dieselbe Person erscheint zuerst links und unmittelbar darauf rechts. […]
Zwischen den (fast) stummen Tanzszenen erzählt der Schauspieler Sebastian Krähenbühl abwechselnd von zwei Menschen, deren Leben von Umbrüchen gekennzeichnet sind. […] Obwohl spannend und witzig erzählt, wirken die Geschichten irgendwie gesucht – es will keine rechte Einheit mit dem Tanz entstehen (Anne Suter).“
züritipp, 26.11.2009
„«Kumpane macht weiter», heisst es in der Medienmitteilung, und wer die melancholisch-heiteren Abende von Kumpane kennt, der wird sich über diese Ankündigung freuen. Seit einigen Jahren begeistert die Schaffhauser Gruppe mit der spannungsvollen Konfrontation von Sprache und Tanz dank den lakonischen Texten von Andri Beyeler und den kraftvollen Choreografien seiner Schwester Tina Beyeler. Damit es aber von Stück zu Stück kein blosses Weitermachen, sondern ein Weiterentwickeln ist, suchen die beiden immer wieder die Zusammenarbeit mit neuen künstlerischen Mitstreitern.
[…] In ihrem Stück «du bleibst wenn du gehst» stellen sie die Frage allgemeiner: Weitermachen, bedeutet das Trost oder Bedrohung? Sicherheit oder Routine? Kumpane haben drei Figuren kreiert, die gezwungen sind, sich zu entscheiden und sich Veränderungen zu stellen. «Was bleibt, wenn man geht?», fragen sie, und: «Was geht noch, wenn man bleibt?» Wir gehen davon aus, dass beim Publikum einige bewegende Eindrücke bleiben werden (Felizitas Ammann).“
Fotos by Bruno Bührer
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