Rock and Roll ist hier zum stehn oder vom Glück, nicht das zu sein, woran man hängt (2008)
Ein Popduo gastiert in der Kleinstadt, aus deren ländlichem Umfeld sein männlicher Teil stammt. Dementsprechend stehen auch ein paar bekannte Gesichter im Publikum. Zum Beispiel er, der mit ihm in einer Schülerband gespielt hat, die hier eines ihrer letzten Konzerte gegeben hat. Oder sie, die damals schon bei eben diesem Konzert der Schülerband zugegen war.
Premiere 9. April 08, Fabriktheater Rote Fabrik, Zürich
Koproduktion Fabriktheater Rote Fabrik, Zürich
Mit Tina Beyeler, Markus Gerber, Philippe Graff, Cornelia Lüthi Text Andri Beyeler Choreographie Tina Beyeler
Regie Tomas Shweigen Dramaturgie Petra Fischer Kostüme Inge Gill Klossner Bühne Tina Beyeler, Marion Maisano Technik/Musik Ueli Kappeler Produktionsleitung Yvonne Nünlist
Mit Unterstützung von Stadt und Kanton Schaffhausen, Pro Helvetia Schweizer Kulturstiftung, Stadt Zürich Kultur, Fachstelle Kultur Kanton Zürich, Ernst Göhner Stiftung Zug, Georges und Jenny Bloch-Stiftung, Hamasil Stifung, Dr. Adolf Streuli-Stiftung, SIG Holding AG, Georg Fischer, Cilag AG, Schaffhauser Kantonalbank
Ein Popduo gastiert in der Kleinstadt, aus deren ländlichem Umfeld sein männlicher Teil stammt. Damit nicht genug, hat er doch in demselben Lokal vor gut zehn Jahren bereits mit seiner Schülerband ein Konzert gegeben. Damals wollte er es zu etwas bringen. Was er sich darunter genau vorstellte, konnte er zwar nicht so auf den Punkt bringen, sicher gehörten aber viele Konzerte und mehrere Platten dazu, so dass es dann mal zum Leben reicht.
Mittlerweile schlägt er sich mehr oder minder mit seiner Musik durch. Und auch wenn er sich Mühe gibt, das heutige Konzert als nichts besonderes anzusehen – schliesslich ist man in den letzten Jahren ordentlich rumgekommen und hat schon an ganz anderen Orten gespielt –, ist er doch nicht ganz davor gefeit, den heutigen Abend als seine persönliche Genugtuung zu inszenieren: Schaut her, ich bin immer noch hier und tue, was ich tue, auch wenn keiner darauf gewettet hätte.
Dies bleibt auch seiner musikalischen Partnerin nicht verborgen. Für sie persönlich wäre es ein Konzert wie andere auch, verbunden mit den üblichen Fragen: Warum man tut, was man tut und wie wichtig es ist, das zu wissen, während man es tut. Nicht zuletzt auch, ob die Gage dafür angemessen ist. Derweil das Publikum sich fragt, ob der Eintrittspreis angemessen ist. Das fragt sich zumindest der Bassist der damaligen Schülerband, der heute als Konzertgänger zugegen ist.
Aber eigentlich fragt er sich das nur, um sich nicht anderes fragen zu müssen: Ob seine damalige Entscheidung, die Band aufzugeben, die richtige gewesen ist. Und was hätte werden können, hätte er sich damals anders entschieden. Ob es sich lohnen würde, nochmals zu beginnen mit einer Band. Ohne jedoch alles, was man sich seit der damaligen Entscheidung aufgebaut hat, aufgeben zu müssen, es ginge ja wohl auch nebenher, ginge es vielleicht sogar besser.
Solche Fragen kämen dem Mann, der neben ihm steht, nicht in den Sinn. Würde dieser zumindest sagen, würde ihn jemand fragen. Weil es brauche ja auch die, die zuhören und -schauen. Vielleicht würde er auch einfach nur sagen, er begleite lediglich seine Freundin, die bei diesem Besuch in ihrer Heimat darauf bestanden hat, in dieses Konzert zu gehen. Würde wiederum jemand diese fragen, würde sie wohl nicht sagen, dass sie sich den Tag für einen Besuch in ihrer Heimat aufgrund dieses Konzertes ausgesucht hat.
Darauf geachtet hat sie allerdings schon, schliesslich hat auch sie sich das besagte Konzert der Schülerband angeschaut, damals zusammen mit einer Freundin. Und jetzt steht sie also hier und ist sich nicht sicher, ob sie darauf wartet, dass der heutige Abend das Versprechen von damals endlich einlösen oder ein neues geben soll.
Beitrag auf art tv.
Berner Zeitung, 06.03.2009
„In einem fast leeren Raum werden virtuose Choreografien, Schauspiel und rhythmische Sprache verquickt. Das Mundartstück des in Bern lebenden Autors Andri Beyeler ist eine Collage aus Gesprächsfetzen, die langsam zu einer Geschichte zusammenwachsen. Seine Stärke liegt in der reduzierten Sprache und in sich wiederholenden Textpassagen, die im Verlaufe des Stücks stets neue Bedeutungen bekommen. […] Der Tanz ist mal witzig, mal sinnlich, hier akrobatisch und da ballerinenhaft. Körper wenden und verschrauben sich.“
Thurgauer Zeitung, 06.12.2008
„Das Stück beginnt und endet in der Gegenwart: dem Moment des bevorstehenden grossen Auftritts. Dazwischen liegen Rückblenden auf gemeinsames Üben, Auseinandersetzungen, Ausgrenzung, Wiederbegegnung, Erinnerung und Hoffnung. […] Die teilweise langen Textpassagen spiegeln authentisch ein Milieu wieder, der Tanz variiert das Motiv der Pose gekonnt und auch humorvoll. Waghalsig und unkonventionell sind die Bewegungen. Wirbeln, Hängen, Schleudern und Behindern gehören zum Repertoire. […] Sehr überzeugend sind die Szenenwechsel, die allein durch Beleuchtung und Akustik Rückblenden in der Zeit suggerieren. Die Verzahnung und Ausgewogenheit von Text und Tanz ist jedoch nicht immer gelungen – allzu abrupt und überraschend endet das Stück (Dorothee Kaufmann).“
Schaffhauser AZ, 15.05.2008
„Bereits nach wenigen Momenten offenbart sich die typische Handschrift des Ensembles: Fein beobachtete Alltagsmomente, kraftvoller Tanz, rhythmische Sprache. Trotz cooler Rockposen menschelt es gewaltig, Selbstüberschätzung und Selbstzweifel gehen in «Rock and Roll ist hier zum stehn – oder vom Glück, nicht das zu sein, woran man hängt» Hand in Hand. […] Tina Beyelers Choreografie setzt mitunter auf brachiale Bewegungssprache: Körper knallen auf den Boden, hängen kopfüber, klammern sich ineinander fest. […] Andri Beyelers Text entblösst seine Protagonisten in ihrer Eitelkeit und legt den Finger auf manch wunden Punkt. Trotz peinlicher Momente werden sie aber nie der Lächerlichkeit preisgegeben. […] Das Stück verdichtet sich zunehmend, und vor allem gegen das Ende gelingt die Verzahnung von Text und Tanz hervorragend. Das Ganze gipfelt in einem formidablen Schlussbild (Elisabeth Hasler).“
Schaffhauser Nachrichten, 15.05.2008
„Von abgehackt und brachial bis hin zu sanft und lockend sind die Bewegungen, die sich Tina Beyeler ausgedacht hat. […] Das Stück könnte hart und eindeutig ausfallen. Doch der Text klingt dazu zu zerfetzt, wird zu schnell gesprochen. […] Hinzu kommt die Regiearbeit von Tomas Schweigen, der – mit viel Liebe zum Detail – den Humor, der jeder Peinlichkeit und jedem Small Talk innewohnt, durchscheinen lässt. Dies und die tänzerische und schauspielerische Leistung der vier Protagonisten machen «Rock and Roll…» zu einem seltenen Stück. Einem Stück voll weiter Räume, die der Zuschauer mit seiner Phantasie füllen kann (Indrani Das).“
P.S., die linke Zürcherzeitung, 17. 04.2008
„Viele der Tanzfiguren sind auf dem Bretterboden mit Bühnenelementen und einem Mikro an der Grenze zu dermassen waghalsig, dass man sich um die Tänzerinnen fürchtet. Aber seit dem ersten „Pas-de-deux“ von Tina Beyeler und Philippe Graff hat man sich an ehrwürdiges Staunen gewöhnt und weiss um das Können aller. Wow ().“
Tages-Anzeiger, Freitag 11.04.2008
„In «Rock and Roll ist hier zum stehn – oder vom Glück, nicht das zu sein, woran man hängt» stehen Selbstüberschätzung und Unsicherheit, Rockposen und Peinlichkeit dicht beieinander. […] Eindrücklich, wie die Körper auf den (ungedämpften) Holzboden knallen oder sich an einer Wand abstrampeln. […] Auch inhaltlich ist das Stück eine Gratwanderung. Denn nicht nur die Figuren tappen von einem Déja-vu ins andere – auch das Publikum kennt die peinlichen Situationen, die banalen Gespräche über banale Dinge. Da schwingt permanent die Gefahr mit, dass das Stück selbst ins Banale kippt. Andri Beyeler umschifft sie über weite Strecken mit seinem stark stilisierten Text, in dem die schweizerdeutschen Floskeln nur noch fragmenthaft dastehen. Vieles bleibt unausgesprochen, offen. […] Zwischen den Zeilen aber sprechen die Körper eine deutliche Sprache. So ist «Rock and Roll» das wohl lustigste aller Kumpane-Stücke geworden (Felizitas Ammann).“
Fotos by Bruno Bührer
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